16 Aktionstage: Gemeinwesen müssen Teil der Lösung im Kampf gegen digitale Gewalt sein
Haushalte, Schulen, Kirchen und lokale Gemeinwesen können entscheidend dazu beitragen, Schaden zu verhindern, Überlebende zu unterstützen, rechtlichen Schutz einzufordern und sichere digitale Räume zu schaffen.
Sikhonzile Ndlovu, leitende Referentin des LWB für Gendergerechtigkeit, spricht bei einer Veranstaltung zur Vorstellung eines neuen Leitfadens für interreligiöse Führungspersonen, die an vorderster Front im Einsatz gegen Früh-, Zwangs- und Kinderehen tätig sind. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Kampagne „16 Aktionstage gegen geschlechtsspezifische Gewalt“ statt und wurde von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania organisiert. Foto: ELKT
Webinar zu Strategien, um Frauen und Mädchen im digitalen Raum vor Missbrauch, Bedrohung, Belästigung und Ausgrenzung zu schützen
(LWI) – Digitale Technologien sind zu einem wesentlichen Bestandteil unseres Alltags geworden. Sie sind unverzichtbar für Kommunikation, Bildung, Wirtschaft und das Zusammenleben. Doch neben den vielfältigen Vorteilen bringen sie auch neue Bedrohungen für Frauen und Mädchen mit sich, indem sie geschlechtsspezifische Ungleichheiten aus dem Offline-Bereich spiegeln und oft noch verstärken. Deshalb konzentriert sich die diesjährige Kampagne „16 Aktionstage gegen geschlechtsspezifische Gewalt“ auf die Sichtbarmachung und Bekämpfung von digitaler Gewalt, deren negative Auswirkungen viele Frauen und Mädchen weltweit im Alltag erleben.
„Gegenmaßnahmen müssen zu Hause ansetzen, in den Schulen, in den Kirchen und in unseren Gemeinwesen“, betonte Sikhonzile Ndlovu, leitende Referentin für Gendergerechtigkeit beim Lutherischen Weltbund (LWB). Sie war Organisatorin eines am 2. Dezember veranstalteten Webinars, in dem erörtert wurde, wie diese Herausforderungen in der weltweiten Kirchengemeinschaft wirksamer angegangen werden können. „Technologiegestützte geschlechtsspezifische Gewalt ist eine der am schnellsten wachsenden Formen von Missbrauch“, erklärte sie. „Und Glaubensgemeinschaften können entscheidend dazu beitragen, Schaden zu verhindern, Überlebende zu unterstützen, wirksamen rechtlichen Schutz einzufordern und sichere digitale Räume zu schaffen.“
Zu Beginn des Webinar wurde die Arbeit des Weltverbandes für christliche Kommunikation vorgestellt. Der Verband wird in Kürze die neueste Ausgabe seines globalen Medienmonitoring-Projekts veröffentlichen, das sich in diesem Jahr unter anderem auch mit technologiegestützter geschlechtsspezifischer Gewalt befasst. Sarah Macharia, die Leiterin des Fachgremiums, das den Bericht verfasst hat, hob den Mangel an Medienberichterstattung über dieses Problem hervor, was unmittelbare Auswirkungen auf vulnerable Frauen und Mädchen habe. „Wenn in den Medien mehr über digitale Gewalt berichtet würde, würde dies Betroffene zum Handeln ermutigen. Es gäbe mehr Anrufe bei Hilfetelefonen und mehr Anzeigen bei der Polizei“, erklärte sie.
Die Folgen seien „Schulabbrüche, die Verheiratung von Minderjährigen, der Rückzug von Frauen aus der Arbeitswelt oder dem öffentlichem Leben sowie geringere Zukunftschancen für Mädchen.
Ameera Khames, Direktorin der LWB-Länderprogramme für Jordanien und Syrien
Podiumsteilnehmende aus Afrika, Lateinamerika, dem Nahen Osten und den nordischen Ländern schilderten, wie sich digitale Gewalt in ihren jeweiligen Kontexten auswirkt. Yine Yenki Nyika, Mitbegründerin der Initiative GoGirls ICT, die im Südsudan mit dem LWB zusammenarbeitet, berichtete, dass soziale Medien entscheidend dazu beitrügen, den Konflikt in ihrem Land weiter anzuheizen. Es gebe neue Berichte, dass Online-Plattformen dazu genutzt würden, um weibliche Führungspersonen, Aktivistinnen und Wegbereiterinnen gesellschaftlicher Veränderungen anzugreifen. Ihnen allen werde vorgeworfen, „die Gesellschaft im Südsudan zu zerstören“.
Die Internetnutzung sei im Vergleich zu anderen Ländern noch niedrig, steige jedoch gerade rapide an, erklärte Nyika. Meist seien die in Familien genutzten Smartphones und anderen Endgeräte Eigentum der Männer. „Der Südsudan ist eine sehr patriarchale Gesellschaft“, betonte sie. Deshalb sei ihre Organisation bei der Einführung ihrer Programme zur digitalen Inklusivität direkt in die Familien gegangen, um zu erklären, wie Technologie die Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen verbessern könne.
Ameera Khames, die Direktorin der LWB-Länderprogramme in Jordanien und Syrien, berichtete von einem alarmierenden Anstieg digitaler Gewalt, die sich hauptsächlich gegen Frauen und Mädchen richte. Die häufigsten Formen seien bildbasierter Missbrauch und digitale Erpressung, aber auch Belästigung im virtuellen Raum, gehackte Nutzerkonten, die Veröffentlichung privater Informationen sowie Grooming, also die Anbahnung von sexuellen Kontakten mit Kindern und Jugendlichen im Internet. Die Folgen seien „Schulabbrüche, die Verheiratung von Minderjährigen, der Rückzug von Frauen aus der Arbeitswelt oder dem öffentlichem Leben sowie geringere Zukunftschancen für Mädchen, da Familien die Internetnutzung von Mädchen einschränken“.
Auf „verborgene Wunden“ muss schneller reagiert werden
Auch Bischöfin Izani Bruch von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Chile berichtete von einem starken Anstieg verschiedener Formen von digitaler Gewalt wie die Veröffentlichung von nicht einvernehmlich aufgenommenen Bildern, aber auch Übergriffe und Bedrohungen gegen Frauen im öffentlichen Raum, wie es eine Kandidatin der jüngsten Präsidentschaftswahlen erlebt hat. Mögliche Folgen für Betroffene und Überlebende sind „ständige Angst, Vertrauensverlust, Rückzug, Isolation und sogar Suizid“. Zugleich werden die Auswirkungen dieser „verborgenen Wunden“ in Kirche und Gesellschaft bislang kaum thematisiert.
Pfarrer Jussi Luoma von der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands berichtete, dass digitale Belästigung von Frauen in politischen oder anderen öffentlichen Rollen auch in seinem Land weit verbreitet sei. Dort würden die Menschen aufgrund weiter Entfernungen und kalter Winter sehr viel Zeit online verbringen. Obwohl Finnland als Vorbild in Sachen Gendergerechtigkeit gelte, weise das Land eine der höchsten Quoten häuslicher Gewalt in Europa auf, und Nötigung und Zwang finde sowohl im persönlichen Kontakt als auch im digitalen Raum statt. Zudem gebe es zahlreiche Fälle von Grooming, Belästigung und Stalking in seinem Land, so Luoma. Und die meisten Täter seien Männer, selbst dann, wenn sich die digitale Gewalt gegen Männer richtet.
In den Gesprächen im Rahmen des Webinars ging es zudem um mögliche Strategien, diesen Herausforderungen zu meistern. Die Teilnehmenden betonten, dass Lösungen auch die Familien und Gemeinwesen Teil der Lösung sein müssten. Nyika berichtete, dass im Südsudan gerade ein neues Gesetz zur Bekämpfung von Cyberkriminalität verabschiedet worden sei. „Doch wir verfügen nicht über die notwendige Infrastruktur, um die Täterinnen und Täter vor Gericht zu bringen“, ergänzte sie. Auch in Chile gebe es seit 2024 ein solches Gesetz, so Bischöfin Bruch. „Unsere Kultur hindert die betroffenen Menschen jedoch daran, Anzeige zu erstatten, weil sie dann befürchten müssen, gesellschaftlich stigmatisiert und geächtet zu werden.“ Zudem misstrauten viele Menschen in der chilenischen Gesellschaft den zähen Verfahren und trägen Institutionen, fügte sie hinzu. „Deshalb leiden die Opfer oft im Stillen.“
Unser christliches Verständnis von Menschenwürde und Gleichheit ist die stärkste Antriebskraft unserer Advocacy-Arbeit.
Pfr. Jussi Luoma von der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands
Khames betonte die besondere Verantwortung der Betreiber von sozialen Medien und Netzwerken, „dafür zu sorgen, dass auf ihren Plattformen niemand zu Schaden kommt“. Die Unternehmen müssen in Moderatorinnen und Moderatoren investieren, die Arabisch und andere Sprachen sprechen, außerdem in Teams, die rund um die Uhr auf Übergriffe reagieren, sowie in Mechanismen zur proaktiven Erkennung risikobehafteter Verhaltensweisen. Richtlinien „dürfen nicht nur im Silicon Valley entworfen werden, sondern müssen auf lokale Kontexte zugeschnitten sein“, betonte sie.
Zugleich hob sie hervor, dass auch die Gemeinwesen und Menschen Teil der Lösung sein müssen – „Eltern, Betreuungspersonen und Menschen in lokaler Leitungsverantwortung. Sie alle haben Einfluss darauf, wie junge Menschen Technologien nutzen. Daher müssen wir sie zurüsten, nicht aus Angst heraus zu agieren, sondern Unterstützung zu bieten und gemeinsame Verantwortung aufzubauen“. Die Zentren des LWB seien „Räume des Vertrauens“, die Schulungen zu Cybersicherheit für Familien anbieten und Eltern zurüsteten, um gemeinsam für mehr Sicherheit im digitalen Raum zu sorgen. Zudem werden junge Menschen zu „Botschafterinnen und Botschafter für digitale Sicherheit“ ausgebildet, die Gleichaltrige auf Risiken hinweisen und verantwortungsbewusstes Verhalten förderten, so Khames.
LWB-Ratsmitglied Luoma unterstrich, dass sich Kirchen und Organisationen, die aus dem Glauben heraus handeln, für einen besseren Schutz vulnerabler Frauen und Mädchen im digitalen Raum einsetzen könnten. „Als weltweite Kirchengemeinschaft können wir die vielfältigen Erfahrungen aus unseren Mitgliedskirchen auf globaler Ebene einbringen und zugleich Richtlinien von der globalen auf die lokale Ebene weitergeben.“ Es sei zudem dringend notwendig, dass Männer in Machtpositionen oder in öffentlichen Rollen mutig Stellung gegen digitale Gewalt beziehen. „Unser christliches Verständnis von Menschenwürde und Gleichheit ist die stärkste Antriebskraft unserer Advocacy-Arbeit“, betonte er.